Mt 28,1-10: Erschütterte Gewissheit
16.IV.2017,
Ostern Bruchköbel
Wochenspruch:
„Jesus Christus spricht Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu
Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ (Apk 1,18)
Lieder: Christ ist erstanden (EG 99); Sing
Halleluja To The Lord (N 46); Lasst uns Brot brechen und Gott dankbar sein (EG
582); Seid nicht bekümmert (N 45)
Psalm 118
(747); Schriftlesung: 1. Samuel 2,1f.6-8a
1 Als der Sabbat vorüber war, im ersten
Licht des darauf folgenden Tages,
kamen Maria aus Magdala und die
andere Maria,
um nach dem Grab zu sehen.
So
beginnen die biblischen Worte für den heutigen Ostersonntag, liebe Gemeinde.
Und so beginnt auch für viele Menschen aus Bruchköbel ihre Woche. Wenn die
Feiertage vorbei sind, wenn eine neue Woche anfängt, dann gehen nicht wenige
zum Friedhof. Die meisten von ihnen sind Frauen, so wie in der biblischen
Geschichte. Sie wollen nach den Gräbern sehen. Sie trauern um ihre Männer,
trauern um Eltern oder andere Angehörige, manche trauern um ihren Sohn oder
ihre Tochter. Immer wieder sehe ich sie auf dem Friedhof oder weiß, dass sie
hingehen. Diese Regelmäßigkeit gibt ihnen Struktur und Stabilität in ihrem Tageslauf.
Auf dem Friedhof ist es still. Sie halten inne und denken an die Toten; manche
sprechen auch zu ihnen.
Der
Besuch auf dem Friedhof - in diesem Ritual zeigen sich Liebe und Verbundenheit.
Es sind treue Menschen, die so etwas tun, manchmal über Jahre hinweg. Aber es
spricht daraus auch eine große Endgültigkeit. Denn der Frieden des Friedhofs hat
etwas Hoffnungsloses. Die Blumen sind verwelkt, die Holzkreuze wittern vor sich
hin, und früher oder später steht dort ein glatt polierter Stein mit einem
Namen und zwei Daten. Anfang und Ende eines Lebens. Und was bleibt? Die
Grabpflege. Das Bemühen, das Grab schön zu machen. Dem Verstorbenen soll die letzte
Ehre erwiesen werden. Die harte Wahrheit aber ist: Er oder sie wird nicht
wiederkommen. Die Menschen, die dort liegen, sind aus dieser Welt gegangen.
Unwiderruflich. Der Tod hat gewonnen.
Noch
schlimmer: Es gibt Situationen, da bleibt von einem Menschen nicht einmal das.
Nach schweren Unfällen oder nach einem Terroranschlag gibt es manchmal nichts
mehr, was man bestatten könnte. In den Kriegs- und Hungergebieten bleiben Tote
zuweilen auf der Straße liegen. Niemand kann sie bestatten. Oder sie werden in
hastig gescharrte Gruben geworfen, ohne Grabstein, ohne Namen. Andere ertrinken
auf der Flucht im Meer, gehen unter und verschwinden spurlos. Das Leben dieser
Menschen ist zu Ende, vernichtet, ausradiert. Der Tod hat gewonnen.
Wenn
wir in unserem Sprachgebrauch sagen wollen, dass etwas unumstößlich sicher ist,
dann haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder man sagt: „Das ist so sicher wie
das Amen in der Kirche.“ Oder: „Das ist todsicher.“ Jeder und jede muss
sterben, diese Gewissheit ist so unerschütterlich, dass Zweifel am christlichen
Osterglauben nur allzu verständlich sind. Ist denn nicht jeder Grabstein ein
Argument gegen diesen Glauben? Ist nicht jede Nachricht von einem Unfall, einem
Anschlag, von einem Selbstmord oder vom Tod eines Menschen durch Krieg oder
Hunger – ist nicht jede solche Nachricht ein Zeichen dafür, dass das Leben verloren
hat? Nur der Tod ist umsonst, heißt es, aber der kostet das Leben. Der Tod ist
der große Gleichmacher, er holt den Millionär und den Obdachlosen, den Arzt und
die alte Frau, den Kranken und manchmal auch den, der eben noch gesund war und
mitten im Leben stand. Wir alle versuchen, den Tod zu vermeiden, und können ihm
doch nicht entkommen. Das ist die eine große Gewissheit über unser menschliches
Leben. Und es gibt nichts in der Welt, das diese Gewissheit erschüttern könnte.
Ich
lese noch einmal aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 28, ab Vers 1.
1 Als der Sabbat vorüber war, im ersten
Licht des darauf folgenden Tages,
kamen Maria aus Magdala und die
andere Maria,
um nach dem Grab zu sehen.
- - -
2 Auf
einmal begann die Erde heftig zu beben.
Denn ein Engel des Herrn kam vom
Himmel herab,
trat herzu, wälzte den Stein weg und
setzte sich darauf.
3 Seine Gestalt war [hell] wie ein Blitz
und sein Gewand weiß wie Schnee.
4 Als die Wächter ihn sahen, erbebten sie vor Furcht und [fielen zu
Boden] wie Tote.
5 Da sagte der Engel zu den Frauen:
„Ihr braucht euch nicht zu fürchten!
Ich weiß, ihr sucht Jesus, den
Gekreuzigten.
6 Er ist nicht hier;
er ist auferstanden, so wie er es
gesagt hat.
Kommt her und seht die Stelle, wo er
gelegen hat!
7 Und dann geht schnell und sagt seinen
Jüngern,
dass er von den Toten auferstanden
ist;
und siehe, er wird euch nach Galiläa
vorangehen, dort werdet ihr ihn sehen.
Siehe, ich habe es euch gesagt.“
8 Da verließen sie schnell das Grab voller
Furcht und großer Freude
und liefen, um seinen Jüngern die
Nachricht zu bringen.
9 Plötzlich kam ihnen Jesus entgegen.
„Seid gegrüßt!“, sagte er.
Sie traten zu ihm hin, umfassten
seine Füße und beteten ihn an.
10 Darauf sagte Jesus zu ihnen:
„Fürchtet euch nicht!
Geht hin und bringt meinen Brüdern
die Nachricht,
dass sie nach Galiläa kommen sollen;
dort werden sie mich sehen.“
Stellen
Sie sich das mal vor, liebe Gemeinde: Sie gehen auf den Friedhof, um das Grab
eines Angehörigen zu besuchen. Vielleicht haben sie ein paar Blumen in der
Hand, die Sie dort ablegen wollen. Vielleicht möchten Sie ein wenig Unkraut
jäten, vielleicht sich kurz mit der Frau unterhalten, die das Grab zwei Reihen
weiter links pflegt und die auch oft zur gleichen Zeit auf dem Friedhof ist.
Und
dann auf einmal das: Erdbeben! Helles Licht! Ein Unbekannter, der die
Grabsteine bei Seite räumt! Eine laute Stimme! Ein Toter, der nicht mehr tot
ist! Erschütternd, im wahrsten Sinne des Wortes. Wie würde es Ihnen damit
gehen? Wären Sie sofort in der Lage, ein Halleluja anzustimmen? Ich jedenfalls
nicht. Wahrscheinlich wären wir erst einmal völlig verwirrt und durcheinander.
Die ewigen Regeln von Leben und Tod, sie gelten auf einmal nicht mehr! Das, was
man sonst oft hört, wenn man hinter einem Sarg hergeht oder bei einem Trauerkaffee
sitzt – „Ja, den Weg müssen wir alle einmal gehen.“ „Ja, der Tod gehört nun
einmal zum Leben.“ „Ja, da muss man durch.“ – all diese Sätze und Gewissheiten
gelten auf einmal nicht mehr. Erschütternd, nicht wahr?
Und das
nicht nur für empfindliche Gemüter. Sondern gerade auch für die, die täglich
mit dem Tod zu tun haben, für die er sozusagen zum Geschäftsmodell gehört. Denn
da standen ja sogar noch ein paar Wachsoldaten bei diesem Grab. Römische
Legionäre, deren Macht in der gesamten damaligen Welt gefürchtet wurde. Sie
waren Handwerker des Todes. Und sollten nun einen Toten bewachen. Was mögen sie
gedacht haben, als sie dieses Kommando bekamen? Vielleicht: „So etwas
Sinnloses. Tot ist tot, wir kennen doch unser Henkerhandwerk. Wenn wir jemanden
kreuzigen, dann gründlich. Dieser Jesus von Nazaret kommt nicht wieder.“
Vielleicht haben sich diese Soldaten aber auch insgeheim gefreut. Wache
schieben auf dem Friedhof, das klang nach einem einfachen Job. Was sollte da denn
schon geschehen? Schlimmstenfalls würden ein paar Freunde und Sympathisanten
dieses Jesus auftauchen, würden aus der Ferne einen Blick auf das Grab werfen
und dann wieder verschwinden. Wie die Hühner waren sie doch auseinandergelaufen
vor drei Tagen, als ihr Anführer verhaftet wurde. Nein, von diesen Helden ging
sicher keine Gefahr mehr aus. Ihr Wolkenkuckucksheim von einer besseren Welt
war in sich zusammengebrochen, ihre Hoffnung begraben. Das war so sicher wie
das Amen in der Kirche. Todsicher.
Und auf
einmal dreh sich all das um. Jede Gewissheit wird erschüttert. Die Erde beginnt
zu beben. Der Himmel zeigt seine Macht, die bisher verborgen war. Und nicht nur
die Erde bebt, sondern auch die starken römischen Soldaten. Es ist im
biblischen Original das gleiche Wort in beiden Versen. Sicher kein Zufall. Die
schwer bewaffneten Männer fallen auf den Erdboden wie Tote. Sie, die Machtmenschen,
die einen Toten bewachen sollten, sind nun selber machtlos, bewegungslos,
leblos. Weil der, der tot war, lebt. Das ist erschütternd, im wahrsten Sinne
des Wortes. Es hätte mich nicht gewundert, wenn auch die Frauen in reine Panik
verfallen und schreiend davongerannt wären. Wer soll so etwas denn verstehen?
Wer kann das aushalten, wenn alles auf einmal anders wird, als es seit
Menschengedenken war?
Ja, die
Frauen haben Angst. Vers 8: Da verließen sie schnell das Grab voller Furcht.
Aber eben nicht nur. Da steht noch mehr. Da verließen sie schnell das Grab
voller Furcht – und großer Freude! Denn sie hatten eine unglaubliche Nachricht
gehört. Als erste Menschen überhaupt wurde folgendes zu ihnen gesagt: „Ihr
braucht euch nicht zu fürchten! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er
ist nicht hier; er ist auferstanden, so wie er es gesagt hat. Kommt her und
seht die Stelle, wo er gelegen hat!“ Was ist dagegen die Mondlandung oder die
Entdeckung Amerikas, was sind dagegen die größten Erfindungen der Menschheit? „Der
Gekreuzigte ist nicht hier. Er ist auferstanden. so wie er es gesagt hat. Und
dann geht schnell und sagt es seinen Jüngern; und siehe, er wird euch nach
Galiläa vorangehen.“
Die
Frauen rennen los, voller Furcht und großer Freude. Begriffen haben sie noch
nichts. Aber sie haben gehört und gesehen, und sie haben einen Auftrag. Sie laufen,
um seinen Jüngern die gute Nachricht zu bringen, das Ev-Angelion, wie es im
Griechischen heißt. Diese Frauen waren die ersten Evangelistinnen der
Weltgeschichte. Der Tod hat nicht mehr das letzte Wort. Die alte Gewissheit ist
erschüttert. Nichts ist mehr, wie es war! Eine unglaubliche, eine nie dagewesene
Nachricht. Und deswegen waren sie voller Freude, bei allem Durcheinander, das
in ihren Köpfen und Herzen geherrscht haben muss.
Die
Worte des Engels hatten sie auf die richtige Spur gebracht, auf die Spur des
neuen Lebens. Und als sie nun in dieser Spur liefen, da
9 plötzlich kam ihnen Jesus entgegen.
„Seid gegrüßt!“, sagte er.
Jesus
selbst, der eben noch tot im Grab lag, er lässt sich von ihnen sehen. Ja, sogar
berühren. Es ist keine Halluzination, keine Einbildung, sondern Realität. Weil
sie geglaubt hatten, was der Engel sagte, weil sie sich an diese Worte hielten,
obwohl sie sie noch kaum verstanden hatten – deswegen konnten sie dann auch
wirklich Jesus begegnen. Das Undenkbare wurde Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit
größer, als sie sie bisher kannten. „Seid gegrüßt“, sagt Jesus. Und auch in diesem
Gruß steckt ein tieferer Sinn. Denn das heißt nicht nur einfach „Hallo“ oder
„Guten Tag“, sondern die Formulierung, die Jesus hier wählt, bedeutet wörtlich:
„Freut euch!“ Das, was gerade neu in ihnen entstanden war, diese noch ganz
zarte und frische und unreflektierte Freude von Ostern, gegen den Tod und gegen
alle übliche Vernunft, diese Freude wird von Jesus bestätigt und bestärkt. Noch
einmal sagt er ihnen höchstpersönlich, was sie von seinem Boten gehört
hatten:
„Fürchtet euch nicht!
Geht hin und bringt meinen Brüdern
die Nachricht,
dass sie nach Galiläa kommen sollen;
dort werden sie mich sehen.“
Jesus
lebt. Der Tod ist erschüttert, er liegt besiegt am Boden. Die Macht der
Zerstörung und des Vergehens hatte bisher immer das letzte Wort, aber jetzt ist
sie entmächtigt. Das ist die gute Nachricht, die immer neue Botschaft von
Ostern.
Können
wir damit leben? Haben diese Worte für uns Kraft? Bedeuten sie etwas für
unseren Alltag?
Es ist
nicht leicht, darauf eine Antwort zu finden. Denn jeden Tag neu stehen die
Mächte des Todes gegen das Leben auf. In der vergangenen Woche war ich zweimal
auf dem Friedhof und habe zugesehen, wie Särge und Urnen in der Erde
verschwanden. In der kommenden Woche werde es wieder so sein. Wir haben heute
unter uns Familien, die um einen Menschen trauern. Sie sind auf dem Friedhof
gewesen, und sie werden wieder dorthin gehen. Bei allem Vogelgesang und allen
schönen Frühlingsblüten in dieser Zeit – von Auferstehung ist da nichts zu
sehen. Die Grabsteine stehen nach wie vor in Reih und Glied. Was ist das mit Ostern?
Alles nur Worte? Nur eine schöne Geschichte aus alter Zeit? Der Tod ist real,
nicht nur an den Gräbern, sondern auch an unseren eigenen toten Punkten, in
unserer Hoffnungslosigkeit, unseren Enttäuschungen, unserem Zynismus. Tod oder
Leben – wer gewinnt?
Von
außen gesehen, scheint dieser Kampf noch nicht entschieden. Er ist noch offen –
mit tendenziellen Vorteilen für den Tod. Denn so viel die Menschheit neu erfindet
und Pläne schmiedet, so sehr und noch viel mehr scheinen die Dinge doch aus dem
Lot zu geraten. Das Klima, die Weltwirtschaft, der Friede, der bisherige
Optimismus. Es sieht so aus, als hätte der Tod das letzte Wort, global wie
individuell. Als steuerten wir alle auf den großen Abgrund zu.
Mit den Augen des Glaubens aber
sieht das Ganze anders aus. Denn der Kampf ist bereits entschieden. Seit diesem
Sonntag in Jerusalem vor fast 2000 Jahren hat der Tod verloren. Das heißt
nicht, dass er keine Macht mehr hätte. Das heißt nicht, dass unsere Welt nicht
in Gefahr wäre. Christlicher Glaube bedeutet nicht, blauäugig und naiv über das
Leiden hinwegzureden. Im Gegenteil, manchmal führt dieser Glaube erst recht ins
Leiden hinein. Und doch geschieht es jeden Tag wieder in dieser alten und
kaputten Welt: dass Menschen, egal wie alt sie sind, einen Neuanfang machen,
miteinander, mit sich selber oder auch mit Gott. Dass Menschen herausfinden aus
einer Depression. Dass echte Begegnungen geschieht, auch über Sprach- und
Kulturgrenzen hinweg. Dass die Trauer über beendetes Leben nicht das letzte
Wort hat – sondern die Hoffnung auf ein Wiedersehen in Gottes neuer Welt.
Wenn
viele Menschen um uns herum an Ostern zweifeln und versuchen, die Gewissheit
des Glaubens zu erschüttern, dann lasst uns zweifeln an der Macht des Todes.
Denn Gott selbst hat die Gewissheit des Todes erschüttert. „Christen sind
Protestleute gegen den Tod“, hat Christoph Blumhardt gesagt. Solche
Protestleute können wir nur deshalb sein, weil unser Freund und Meister Jesus
Christus den größten und stärksten Protest gegen den Tod verkörpert. Lassen wir
uns von ihm neu mit hineinnehmen in das Leben, lassen wir uns hineinnehmen in die
Freude und in die Hoffnung von Ostern!
Amen.
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